Satisfy und die neue Avantgarde im Laufsport

Ein Jahrzehnt nach seiner Gründung prägt die Pariser Running-Marke bereits massiv die internationale Laufszene. In Deutschland spielt Satisfy bislang kaum eine Rolle. Warum eigentlich nicht?

Von Jan Kratochvil 5 Min. Lesezeit
© Satisfy
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Ein Jahrzehnt nach seiner Gründung prägt die Pariser Running-Marke bereits massiv die internationale Laufszene. In Deutschland spielt Satisfy bislang kaum eine Rolle. Warum eigentlich nicht?

“Ich wollte Laufklamotten, die mich etwas spüren lassen”, erinnerte sich Brice Partouche 2020 in einem Hyperbeast-Interview. Fünf Jahre zuvor hatte er die Marke Satisfy gegründet. “Sie sollten funktional sein, aber auch ausdrücken, wer ich bin.” Partouche, schlacksig, lange Haare, ausgestattet mit dem kontrolliert unangepassten Look einer neuen Running-Avangarde, hatte sich bereits mit seinem Fashion-Label April77 kreativ ausleben dürfen. Pariser Punk, Straße mit Klasse.

1976 geboren, wächst Partouche in den französischen Alpen, in der Nähe von Grenoble auf. Sein Vater besitzt eine Denim-Marke, Brice liebt Skate- und Snowboarden, hört Minor Threat, Black Flag, AC/DC, spielt selbst in einer Band, wird erst zum Vegetarier, dann zum Veganer. Ein alternativer Lebensstil, der noch nicht allzu sehr aus der Reihe fällt. Doch was Partouche fasziniert, ist die Wechselwirkung zwischen Mode und Rockmusik. Zum Laufen findet er spät. 2014, über seine damalige Freundin. Sport, der sich nicht wie Sport anfühlt. Hauptsache keine Punkte oder Tore zählen.

Die Idee für Satisfy entstand Partouche aus einer sich häufenden Unbequemlichkeit heraus. „Alles, was ich bis dahin ausprobiert hatte, hat irgendwie meine Harmonie gestört – ich musste mich mit Scheuern rumschlagen, überlegen, wohin mit dem Handy und den Schlüsseln – das hat einfach abgelenkt. Deshalb war’s mir wichtig, dass meine eigenen Sachen genau diese Harmonie unterstützen. Ich hab Dinge wie schnelltrocknende Materialien oder Feuchtigkeitsableitung einfach als Standard gesehen – und genau dadurch konnte ich einen viel freieren, fast schon romantischen Zugang zum Thema Performance entwickeln“, erzählte er Partouche in einem Interview in Satisfys Hausmagazin Posessed.

Das Timing passte perfekt. Die Industrie stand gerade erst am Anfang ihres Shifts von konventionell funktionalen hin zu modisch übermütigen Designs, von ästhetischer Allzwecktauglichkeit hin zu dreister Individualität, von greller Performance hin zu leidenschaftlicher Unverbindlichkeit, von reinen Technologien hin zum Erzählen von Geschichten. 2015 dominierten noch anonyme Giganten mit austauschbarer Massenware, frisch geschlüpfte Nischenmarken wie Hoka (damals noch Hoka One One) oder On Running deuteten aber schon darauf hin, dass die Szene nach Abwechslung lächzte.

Schnell baute Partouche eine kultähnliche Gefolgschaft auf, erst alternatives Stadtvolk, später vom Einheitsbrei gelangweilte Abenteurer, die für ihre Ultra-Trails nach einer Marke suchten, die sich vom Alltag ebenso entschlossen entkoppeln wollte wie sie selbst.

Satisfy funktionierte aber nicht nur wegen seines unangepassten Looks, sondern auch weil dieser Hand hin Hand mit funktionalen Pointen ging - etwa beim Signature-Produkt “Moth Tee": “Ich hatte einfach eine kurze Shorts an und ein Baumwollshirt mit ein paar Mottenlöchern. Als ich mit dem Laufen angefangen habe, bin ich einfach in dem gelaufen, was ich gerade da hatte. Ich hab mir ein Paar Laufschuhe gekauft und bin in den T-Shirts meiner Band gelaufen – die waren alle schon ziemlich abgetragen, aus Baumwolle und hatten diese Löcher. Ich dachte mir, hey, ich kann locker zehn Kilometer in Baumwolle laufen, kein Problem. Durch die Löcher entstand eben ein neues Belüftungskonzept", beschrieb Partouche die Erfindung des heute 120 € teuren Laufshirts im Podcast von Finien.

Als 2024 Nike ein auffällig ähnliches Design präsentierte, war der Aufschrei groß. Das löchrige Shirt ist zum Markenzeichen geworden.

Partouche setzte von Anfang an aber auch auf besonders hochwertige Materialien und vermied Herstellung in Billiglohnländern. Portugal und Japan statt China oder Vietnam. Klassische Interflock-Stoffe aus einfachem Polyester ersetzt Satisfy größtenteils mit pflanzen-basierten Materialien wie funktionaler Baumwolle oder Holzfasern. Keine Revolution, aber konsequent und mehr als üblich.

Dieser Weg hat seinen Preis – der ebenso Teil der kalkulierten Markenwirkung ist. Ein dünner Windbreaker für 490 € (Pertex Fly Rain Jacket), vermeintlich unzerstörbare Shorts für 350 € (TechSilk Cordura), Laufcaps für 110 €. Beträge, die für Gesprächsstoff sorgen (ebenso wie überdimensionierte, von außen angebrachte Produkt-Tags) und eine Qualität versprechen, die Satisfy (anders als andere Boutique-Sportmarken) bislang zu halten weiß.

© Satisfy
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Weil Verknappung Sehnsucht schafft, ist die Wertigkeit der Produkte auch an vergleichsweise niedrige Produktionsmengen gekoppelt - oft im Rahmen exklusiver Kollaborationen. Neben Künstlern und DJs bündelte Satisfy Kräfte auch mit etablierten Marken. Diese hofften so etwas von Satisfys Vibe abzubekommen. Mehr Rave, weniger Pop. In Zusammenarbeit mit Oakley entstanden spezielle Modelle der Re-Subzero Brille. Auch das Runner’s World Magazin, Hoka oder Crocs luden zum Tanz, ebenso die kanadische Premium-Marke Norda, die eine grünblaue Satisfy-Edition ihres ersten Trailschuhs veröffentlichte – für stolze 370 €.

Zuletzt traute sich das Team um Partouche endlich an einen eigenen Laufschuh. Unterstützt vom renommierten Pariser Footwear-Designstudio FOARMS (Arcteryx, Salomon, Scott), unter der Leitung von Ex-Nike-Designer Erik Arlen, launchte Satisfy im Frühling The Rocker: Ein modischer Trailrunning-Schuh, der in dieselbe Kerbe einschlägt wie Nordas 005. Die Euforia™ Mittelsohle kombiniert Arkema PEBA- und EVA-Schaumstoffe, der Rippy™ 55 Monomesh Upper mit asymetrischer Schnürung besteht aus Nova Nylon 66, und für optimale Traktion sorgt eine Vibram TuneLug™ Außensohle mit gleichmäßig verteilten konischen Noppen, angelehnt an das Profil alter Rennautos. Eine 3D-gedruckte Kompressionsform ermöglicht außerdem charmante Details auf der Mittelsohlen-Oberfläche, die sich große Marken nicht leisten wollen. Preispunkt, wenig überraschende 260 €.

Satisfys Spiel mit unangepasster Exklusivität resoniert auch in Laufgruppen. Eigene Crews drehen nicht nur in Paris, sondern mittlerweile auch in London, Los Angeles und Tokio ihre Runden. Die Marke ist so aus ihrer bequemen Position als unangepasster Herausforderer herausgewachsen. In seiner letzten Investitionsrunde sammelte Satisfy über 11 Millionen € ein und dürfte damit für eine weitere Expansion seines Portfolios (etwa von männlichen und Unisex-Schnitten hin zu Produkten speziell für Frauen), ebenso wie seiner Distribution bestens ausgestattet sein (in den kommenden fünf Jahren sollen zehn bis zwölf Satisfy-Stores eröffnet werden). Das Team ist zuletzt auf knapp 45 Personen herangewachsen und soll nun laut Fashion United seinen Jahresumsatz von etwas über 10 Millionen € zeitnah verzehnfachen. Sorgen soll dafür auch Antoine Auvinet, der neue CEO (Ex-Celine, Ex-Bally, Ex-Harry Winston), Partouche darf sich verstärkt auf den kreativen Part konzentrieren.

Satisfy hat es aus dem Herzen von Paris in Märkte wie UK, die USA (40 % der globalen Umsätze), Japan oder sogar Australien geschafft. Auf Instagram folgen der Marke fast 400.000 Menschen aus aller Welt. Aber ausgerechnet im Nachbarland Deutschland tut sich die Marke schwer. Warum? Vielleicht ist es die belastende Preissensibilität, die neue Slow-Fashion-Brands hier wie Blei am Boden hält? Skepsis gegenüber Sportmarken, die modische Ansprüche funktionalen gleichstellen? Oder begrenzte Neugier bei Endkunden und fehlender Mut bei Händlern, neuen Marken eine Chance zu geben? Oder eine zu exklusive Vertriebsstrategie? Deutsche Sportlerinnen, Sportler, Fachhändler und Fachmedien lassen sich ungern beeindrucken. Der hiesigen Laufszene würde Abwechslung aber gut tun. Weniger Masse, mehr Geschichte, weniger Ratio, mehr Gefühl.

Im Sommer 2025 launchte Satisfy eine neue, an die Neo-Western-Serie Yellowstone angelehnte Kollektion. Cowboys, Prärie, Berge. Die Deutschen mögen Western. Vielleicht klappt's ja jetzt.

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